Die Straßen und das Umfeld der Tore sind Bereiche intensivster Kommunikation. Hier herrschte rege Betriebsamkeit: Händler trafen ein und brachen wieder auf zu ihren Reisen oder sie errichteten Stände, auf denen sie ihre Waren anboten; Prozessionen zogen an festgelegten Tagen, kleine Festzüge jederzeit zu den Heiligtümern; Leichenzüge und Frauen, die die Gräber pflegten, waren zur Nekropole unterwegs, das Militär patrouillierte auf den Stadtmauern. Das Areal um die Tore war außerdem ein beliebter Treffpunkt von Prostituierten mit ihren Kunden.
Zwei Straßen querten das Kerameikosgelände in der Antike. Durch das Heilige Tor führte die Straße zum Mysterienheiligtum von Eleusis. Jährlich im Herbst fanden feierliche Prozessionen zwischen Athen und Eleusis statt. Die Straße, die durch das Dipylon zum Hain des Heros Hekademos mit Platons berühmter Akademie führte, war vor dem Tor mehr als 40 Meter breit. Sie hatte nicht nur als Verkehrsachse, sondern auch als Austragungsort kultischer Veranstaltungen Bedeutung, denn hier wurden Agone zu Ehren der Toten und andere kultische Wettläufe durchgeführt. Am Rand der Straße lagen die Staatsgräber der Athener für die Gefallenen der Stadt Athen und ihrer Bundesgenossen.
Die Grabungen an der Heiligen Straße im Bereich des Heiligen Tores haben jüngst eine unterirdische Wasserreinigungsanlage und einen um 410/400 v. Chr. zu datierenden Altar aufgedeckt, die Gegenstand neuer Fragestellungen sind. Die Forschungen an der Kerameikos-Straße und am Dipylon konzentrieren sich auf die 403 v. Chr. errichteten Lakedaimoniergräber und weitere monumentale Grabbauten und Heroa.
Der Begriff Kerameikos wird in klassischer Zeit auf das Areal der Straße zwischen Akademie und Agora bezogen, seine Bedeutung ändert sich jedoch im Lauf der Zeit. Die deutschen Ausgrabungen im Kerameikosgelände (gemeint ist hier der neuzeitliche Kerameikos als archäologischer Park) bieten die Möglichkeit, einen Teil dieser antiken Straße zu untersuchen. Zum Gelände gehören das Stadttor, das über der Straße errichtet wurde, sowie ein etwa 150 Meter langer Abschnitt der Straße vor dem Tor einschließlich der Bebauung entlang des südwestlichen Straßenrandes.
Quellen:
Aus den antiken Quellen ist bekannt, dass entlang dieser Straße und vor dem Dipylon Gräber für Personen angelegt worden sind, deren Handlungen zu Lebzeiten auf ganz unterschiedliche Weise identitätsstiftende Wirkung für die Polis Athen hatten oder die sich sonst um die Stadt verdient gemacht hatten, darunter gefallene Athener, Feldherren, Politiker, Olympiasieger und berühmte Künstler.
Aussehen der Straße:
Die Kerameikosstraße war vor dem Tor mehr als 40 Meter breit. Das entspricht dem Abstand der Grenzsteine beiderseits des Dipylon vor der Stadtmauer. Diese Breite ist durch die Grabungen von Dieter Ohly auch noch 70 Meter vor der Toranlage archäologisch nachgewiesen. Im landseitigen Tordurchgang verengte sie sich auf 18 Meter.
Schon allein diese monumentalen Ausmaße unterscheiden diese Straße von allen anderen bekannten antiken Straßen: Normalerweise waren Straßen 3-5 Meter breit, seltener 8-10 Meter. Die große Hauptstraße in Alexandria war 30 Meter breit. Eine so breite Straße vor dem Haupttor einer Stadt war im Verteidigungsfall von Nachteil. Es müssen daher gewichtige Argumente für den Ausbau der Straße im letzten Viertel des 5. Jahrhunderts gegolten haben.
Funktion der Straße:
Aus der enormen Breite der Straße ist ersichtlich, dass es sich hier nicht um eine normale Straße handeln kann, die nur die üblichen Funktionen hatte (Verkehrsweg für Reise und Transport). Verwaltet wurde der antike Kerameikos von der Stadt. Darauf weisen die Stelen mit der Inschrift ΟΡΟΣ ΚΕΡΑΜΕΙΚΟΥ hin, die um 350 v. Chr. entlang der Straßenränder aufgestellt worden sind. Die Polis war damit für alle Belange der Straße und der Bauten entlang der angrenzenden Straßenränder zuständig. Der von der Polis geschaffene und begrenzte Raum vor dem Dipylon stand den Bürgern für verschiedene Nutzungsweisen zur Verfügung:
Zum Beispiel war die Straße in ganzer Länge Veranstaltungsort von Agonen, im Besonderen von Fackelläufen, die unter anderem im Rahmen des Staatskultes der Panathenäen stattfanden und an denen das ganze Volk als Zuschauer beteiligt war. Auch bei anderen Staatskulten spielte die Straße eine Rolle, z. B. bei den Kultfesten für Dionysos Eleuthereus. An den im Lauf der Zeit entlang der Straße errichteten Grabdenkmälern wurden jährliche Gedenkfeiern abgehalten, z. B. fanden regelmäßig Riten am Polyandrion der Athener statt. Durch diese gemeinsam, Teilweise auch unter Beteiligung der Frauen vollzogenen Rituale wurden die Strukturen der athenischen Gesellschaft ausgedrückt und durch die Wiederholung dauerhaft gefestigt.
Quelle DAI